zurück oder voraus

Die Insel ist groß und hügelig. Überall wachsen seltene Pflanzen  mit großen, blauen Blüten, die wie kleine Regenschirme herab hängen. Hier und da fließt ein kleiner Fluss und es wachsen köstliche Früchte an kleinen Sträuchern mit stacheligen Blättern.

 

Fünf Schildkröten spielen Nachlaufen und halten kurz inne, als sie die seltsame Mannschaft, oder besser gesagt – die Füße der seltsamen Mannschaft – an sich vorbei laufen sehen. Die Bäume sind groß und haben knorrige Äste, die fast bis in den Himmel reichen. Kleine Vögel, die an eine Mischung aus Papageien und Kolibris erinnern, zwitschern vor sich hin und fliegen aufgeschreckt umher, als Ansgar sie ankrächzt.

 

Im Inneren der Insel werden die Bäume mehr und das Licht weniger. Die Vögel kommen nicht bis hierher, weil auch die Früchte, die sie gerne mögen, weniger werden.

 

Unsere Piratenmannschaft kommt auch nicht mehr so gut voran,

denn langsam wird das Dickicht fast undurchdringlich.

Es ist heiß, weil die Bäume den Wind wegnehmen und

dunkel zugleich, weil ihre starken Äste mit den großen

Blättern wie ein Dach zusammen gewachsen sind.

Aus dem Boden dringt eine Feuchtigkeit, die schnell die Piratenschuhe durchdringt und die Mannschaft der Windjauler schleppt sich mit quietschnassen Füßen voran.

 

Die drei Piraten machen auf einer Lichtung halt und Opa Krausbart schaut auf die Karte.

„Mhm,... was ist das eigentlich so nass hier überall?“ grunzt er.

Er schaut auf den lehmigen Boden und blickt auf zahlreiche kleine Wasserpfützen.

Dann deutet er mit seinem dicken Finger auf einen Fleck in der Mitte der alten Karte.

 

„Hier müsste es sein. Das verloren geglaubte Schlüssellager. So steht es jedenfalls in der Beschreibung. Genau noch fünfhundertundfünf Schritte geradeaus, zweiunddreißig nach links und dann dreizehn nach rechts. Dann drei Fingerbreit nach vorn und eine Zehe zurück.

Da soll es sein!“

 

„Das ist aber kompilizeriert.“ , meint Lasse. „Ist das immer so kompilizeriert mit den Schätzen?“ fragt er.

„Kompliziert heißt das. Nun, wenn ein Schatz einfach nur so herum liegt, ...“, antwortet Opa Krausbart „dann, mein lieber Lasse Eisenhammer, könnte ja jeder kommen und ihn vorher schon weg nehmen.

Das heißt, er wäre schon nicht mehr da, wenn man ihn gefunden hätte und dann wäre auch die Karte mehr oder weniger, eher weniger,...also...ach, lassen wir das!“

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Opa Krausbart zückt seinen Piratensäbel und schneidet ein paar dicke Blätter von einem Strauch ab, der im Weg steht, ab, damit er besser voran kommt.

Langsam und peinlich genau zählt er seine Schritte. „Fünfhundertfünf, fünfhundertvier, fünfhundertdrei, ...“

Lasse und der Käpt´n schleichen leise hinter ihm her. Ansgar duckt sich auf Lasses Mütze, denn die Blätter der Bäume hängen mittlerweile so niedrig, dass kein Vogel mehr fliegen kann.

 

Schweigend marschiert die kleine Truppe durch das Dickicht der Büsche und Blätter.

Dicke Schweißperlen rinnen unter den Piratenhüten hervor und kullern die Wangen der schweißnassen Gesichter herunter.

Opa Krausbart zählt die Schritte und zählt und zählt und zählt.

 

Umso weiter sie in das Innere der Insel vordringen, umso dunkler wird es. Die Blätter der knorrigen Bäume versperren dem Sonnenlicht beinahe jeden Weg.

 

„Haben Piraten eigentlich Angst im Dunkeln?“ fragt Lasse, während er vorsichtig seinen Fuß aus einer Pfütze zieht. Schlammiges Wasser tropft von seinem Zeh herunter.

„Echte Piraten,“ plustert sich der Käpt´n auf, der diese Frage gerne beantworten möchte „also echte Piraten wissen immer, eine Gefahr richtig einzuschätzen. Und hier und jetzt braucht man keine Angst zu haben, weil hier keine echte Gefahr droht.“

„Also, ob du wüsstest, Jungchen, was eine echte Gefahr ist?“ Opa Krausbart hört auf zu zählen und bleibt stehen. „Hattest du nicht die Hosen gestrichen voll, als uns die Kanonenkugeln vom Hühnerbein das Notsegel weg geschossen haben? Na?!“

 

Der Käpt´n will gerade zu einer Antwort ausholen und atmet schon mal tief ein, als Ansgar mit lautem Kreischen aufflattert und sich mit seinen langen Flügeln die Augen zuhält.

„Was ist los, Ansgar?“, fragt Lasse, und schaut nach oben auf seine Mütze. Ansgar hat sich ganz klein zusammen gekauert und blinzelt durch zwei Flügelfedern hindurch in Richtung des Wegs, der vor ihnen liegt.

Etwa zwanzig Schritte weiter vor ihnen hat sich etwas bewegt.

 

Die Piraten stehen stumm vor Schreck und schauen unbeweglich nach vorne. Keiner der Mannschaft wagt zu atmen. Nicht etwa, weil sie Angst haben, das würden sie ja wahrscheinlich niemals zugeben, sondern weil sie einfach nicht weiter auffallen wollen.

Vor ihnen wächst eine Reihe stachelblättriger Büsche.

 

Hinter den Büschen ist eine Lichtung zu sehen. Und auf der Lichtung läuft eine endlos erscheinende Reihe blau-weiß gestreifter Matrosen, angeführt von einem dunkel gekleideten Kapitän, der eine dicke Pistole in der einen Hand und einen Säbel in der anderen hält.

 

„Hühnerbein“ flüstern die drei wie aus einem Mund und stehen mucksmäuschenstill zwischen den Büschen.

11. Die Insel

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