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15. Die Kraken-Orgel

Lasse hat inzwischen die Metallröhrchen näher in Augenschein genommen. Mit flinken Händen schiebt er den Sand um ein Röhrchen beiseite und legt es immer weiter frei. Er zieht ein wenig daran und hält es in der Hand. Ein Röhrchen aus gelblich glänzendem Metall, mit einem Griff am Ende, der rund ist und mit verschnörkelten Mustern versehen. „Seht mal!“, ruft er „Das sind keine Flöten, das sind Schlüssel!“

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Opa Krausbart und der Käpt´n drehen sich verwundert herum und blicken auf den gelblichgold glänzenden Schlüssel in Lasses Hand. „Was ist denn...“ beginnt der Käpt´n und Opa spricht den Satz zu Ende „Dann hinter der Türe im Felsen?“

 

Statt einer Antwort hebt Lasse den Schlüssel an die Lippen und bläst sachte hinein. Ein wunderschöner Ton erklingt und lässt die Piratenmannschaft erschauern.

Gerade will Lasse Luft holen und zu einem zweiten Ton ansetzen, da beginnt es in der Pfütze im inneren des Schlüsselkreises zu brodeln. Das Wasser spritzt auf, die Piraten halten vor Schreck die Hände vors Gesicht und reißen die Augen weit auf. Mit einem gewaltigen Zischen und Spritzen taucht der Riesenkrake aus dem Wasserloch auf und schaut sich um. Er erblickt die Eindringlinge und fährt sofort seine langen Fangarme aus, um ihnen den Fluchtweg zu versperren.

 

„Wer wagt es, mir hier die Flötentöne zu blasen?!“ grollt er mit tiefer Stimme. „Was hier dringt ein, ist alles mein! Und anders kann es gar nicht sein!“

 

Opa Krausbart, der Käpt´n und Lasse stehen wie angewurzelt im Anblick des übermächtigen Kraken an der Felswand und blicken in die großen, dunklen Augen.

Der Krake beugt sich zu ihnen herunter und mustert sie mit eindringlichem Blick.

„Ach, schon wieder Besuch?! Wer von euch hat die Schlüsselposition inne?“ fragt er nun mit säuselnder Stimme.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Lasse, Opa und der Käpt´n schauen sich an.

„Ähm...Schlüsselposition?“ beginnt der Käpt´n. „Also ich bin der Kapitän, von daher und auch weil ich den Schlüssel in der Tasche mit dem Loch...“ Weiter kommt er nicht, denn Opa fällt ihm ins Wort. „So ein Quatsch, mir gehört das Schiff und die Schatzkarte, daher gehört der Schatz mir!“ Ruft er.

 

„Nein, das ist Quatsch, der Kleine da mit dem Vogel hat den Schlüssel!“ Der Krake schaut Lasse an. „Seht ihr das denn nicht?“

Der Krake hält Opa Krausbart und den Käpt´n mit einem Arm fest und nähert sich Lasses Gesicht bis auf ein paar Zentimeter. „Wassssss willllllsssst du mit meinem Schlüssel?“ Zischt er und sprudelt dabei Wasser aus seinem zahnlosen Mund in Lasses Gesicht. Lasse verzieht keine Miene. Er atmet tief ein vor lauter Angst. „Und ihr seid ruhig, ihr Landratten!“ brummelt der Krake und blickt kurz zu seinen Gefangenen herüber, dann wieder zu Lasse. „Na?! Was denn nun?“ Sein Auge ist nur wenige Zentimeter von Lasses Gesicht entfernt.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Lasse rinnen ein paar Schweisstropfen über die Stirne. Dass ein Piratenlehrling gleich auf der ersten Fahrt schon mit einem Riesenkraken sprechen muss, hat ihm keiner gesagt. Er nimmt seinen ganzen Mut zusammen und blickt den Kraken furchtlos, wie er meint, an. „Also wir sind gestrandete Seeleute und suchen nach einer Unterkunft!“ Behauptet er keck.

„Hä?“ Der Krake zieht eine einzelne Augenbraue hoch und schaut auf die beiden anderen Piraten in seinem linken Arm. „Sucht ihr nun einen neuen Schatz, oder sucht ihr nur ein neues Zuhause?“ Dann blickt er wieder auf Lasse und sprudelt: „es ist einerlei, die Höhle ist schon wieder bewohnt und den Schlüssel in deiner Hand brauchst du auch nicht, denn die Türe hat kein Schloss, wie ihr Schlauberger wohl sehen könnt!“

Der Krake reckt sich zu seiner vollen Größe auf und schnappt mit einem freien Arm blitzschnell nach dem Schlüssel in Lasses Hand. Lasse hat den Angriff aber kommen sehen und steckt den Schlüssel einfach in den Mund. Der Krake schaut ratlos. „Esst ihr Menschen etwa diese Eisenschlüssel?“ Will er wissen. Lasse und die Krausbarts schweigen. Zeit gewinnen und Nachdenken scheint in dieser ausweglosen Situation wohl dringend geboten.

 

„Hör mal, du kleiner Vogelträgerpirat...“ sprudelt der Krake und schaut Lasse grimmig an. „Gib mir den Schlüssel zurück, ich brauche ihn für meine Melodien. Es ist so einsam hier auf der Insel, da brauche ich ab und zu ein wenig Unterhaltung, wenn schon keiner zu Besuch kommt. Und übrigens, ihr könnt nicht in die Höhle, denn sie ist seit kurzem wieder bewohnt. Da sind neue Leute eingezogen, gerade heute Nachmittag.“ Der Krake denkt nach und kratzt sich mit einem freien Arm den dicken Bauch.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

„Sehr unruhiges Pack, muss ich sagen. Sie schreien sehr viel herum und sind sehr widerspenstig. Hat schon etwas gedauert, bis sie alle drin waren. Sie riefen immer was von „Schatz und Gold und Höhle“. So ein Blödsinn, die Höhle ist leer bis in den letzten Winkel. Gold gab´s da auch keines. In der Wasserpfütze hier wohnt es sich auch viel angenehmer. So, jetzt gib den Schlüssel her, ich möchte etwas musizieren!“

 

Der Krake drückt den Gefangenen mit seinen starken Armen einfach ein wenig die Luft ab und Lasse kann gar nicht anders, als den Schlüssel heraus zu rücken, als er vor Luft schnappend den Mund öffnet. „Na also“ triumphiert der Krake, „War doch ganz einfach!“

Er dreht sich um und beginnt mit seinen freien Armen, Luft über die Enden der Schlüsselröhrchen zu wedeln.

 

„Deine Musik klingt wirklich unglaublich schön.“ Flüstert Lasse, der kaum noch Luft bekommt.

„Willst du dich hier einschleimen?“ fragt der Riesenkrake und beginnt zu spielen.

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